Dem Schmerz auf den Nerv gehen

Interventionelle Verfahren können bei chronischen Schmerzen dabei helfen, den Schmerzkreislauf zu durchbrechen. Was es damit auf sich hat, wie sie funktionieren und für wen sie geeignet sind erklärt Dr. Peter Schwarzkopf, Facharzt für Anästhesiologie an den Sana Kliniken Leipziger Land in Borna, im Interview.

Schmerztherapie kann wahrer Detektivarbeit gleichkommen

Interview mit dem Anästhesiologen Dr. Peter Schwarzkopf

Chronische Schmerzen erfordern meist eine vielschichtige Betrachtung und eine gründliche Diagnostik, denn manchmal liegt die Schmerzursache gar nicht dort, wo der Schmerz auftritt. Das heißt, den tatsächlichen körperlichen Grund für den Schmerz zu identifizieren, kann wahrer Detektivarbeit gleichkommen. Ist die Ursache jedoch gefunden, kann mit Hilfe verschiedener therapeutischer Verfahren und auch mit Hilfe kleiner Eingriffe versucht werden, den Schmerz zu unterbinden. „Nicht immer lässt sich die Ursache komplett beheben – auch wir Ärzte können ein verschlissenes Gelenk nicht heilen“, sagt Dr. Peter Schwarzkopf, Facharzt für Anästhesiologie an den Sana Kliniken Leipziger Land in Borna. „Aber wir können den Schmerzkreislauf durchbrechen, indem wir zum Beispiel die Schmerzweiterleitung über die Nerven gezielt blockieren. Dadurch können wir in der Therapie Zeit gewinnen und eine Brücke bauen, bis zum Beispiel andere nachhaltig schmerzlindernde Ansätze – wie Physiotherapie oder ein gezielter Muskelaufbau – greifen“, so der Mediziner weiter.


Unser Experte für interventionelle Schmerztherapie

Dr. Peter Schwarzkopf
Facharzt für Anästhesiologie, Zusatzbezeichnung Notfallmedizin und Intensivmedizin
Telefon 03433 21-1681
peter.schwarzkopf@sana.de


1. Ultraschallgeführte Intervention

Was versteht man unter einer ultraschallgeführten Intervention?

Mit Ultraschall können wir detaillierte Bilder von inneren Organen, Geweben oder Nerven erhalten. Auch Nerven, die Schmerzen verursachen, können wir mit Hilfe von Ultraschall – oder auch Sonografie genannt – genau sehen. In der Schmerztherapie nutzen wir das Verfahren, um unter Sicht mit einer Injektionsnadel Lokalanästhetika oder Entzündungshemmer direkt an die richtige Stelle wie zum Beispiel die entzündete Nervenwurzel zu bringen, da wir mit Hilfe des Ultraschalls in Echtzeit sehen, wohin die Nadel genau positioniert werden muss.

Wann kommt die ultraschallgeführte Intervention zum Einsatz?

Grundlegend gibt es zwei wichtige Einsatzgebiete dieses Verfahrens: Erstens an der Wirbelsäule und zweitens bei chronischen Schmerzen an anderen Körperstellen wie Kopf, Armen, Bauchwand etc., ist die ultraschallgeführte Intervention ein sinnvolles Verfahren.

Schauen wir zunächst auf die Wirbelsäule bzw. den Rücken. Was behandeln Sie hier?

Verschleißerkrankungen, Bandscheibenvorfälle, Entzündungen oder Engstellen an den Wirbelkanälen, durch die die Nerven führen, sind oft Ursache für langanhaltende Schmerzen. Mit der ultraschallgeführten Intervention können wir zum einen die Schmerzen lindern, in dem wir ein lokales Betäubungsmittel oder auch Entzündungshemmer direkt an die Schmerzstelle spritzen. Zum anderen haben wir durch dieses Verfahren auch die Möglichkeit einer besseren Diagnostik, da wir gemeinsam mit der körperlichen Untersuchung und der Bildgebung die schmerzauslösende Quelle besser eingrenzen können.

Und welche anderen Körperstellen werden mittels einer ultraschallgeführten Intervention behandelt?

Dazu muss man wissen, dass jeder Mensch zwei Nervensysteme hat – das zentrale Nervensystem (ZNS) und das periphere Nervensystem (PNS). Letzteres liegt außerhalb des Gehirns und Rückenmarks, versorgt Haut und Muskeln und ist für die Empfindung von Berührung, Temperatur und auch Schmerz verantwortlich. Ist es gestört oder verletzt, kann das zu chronischen Schmerzen führen, deren Grund oftmals mit gängigen bildgebenden Verfahren und Untersuchungen nicht festgestellt werden kann. Dank hochauflösender Schallköpfe lassen sich aber auch kleinste schmerzende Nervenäste mit weniger als 1 mm Größe erkennen, so dass sie behandelt werden können.

Was sind die Vorteile des Verfahrens und wie lange hält die Schmerzlinderung an?

Insgesamt ist die ultraschallgeführte Intervention eine präzise und sichere Methode. Die Vorteile sind: Es gibt keine Belastung durch Röntgenstrahlen. Eine ultraschallgeführte Intervention kann ambulant durchgeführt werden und dauert in der Regel nur wenige Minuten. Wie lange die Wirksamkeit der Behandlung anhält, ist sehr individuell. Besonders wenn wir in der therapeutischen Anwendung Cortison mit verabreichen, hält die Wirkung länger. Der Nerv hat die Chance, sich zu erholen und der Patient kann die schmerzfreie Zeit für weitere therapeutische Maßnahmen nutzen.

Einsatzgebiete der ultraschallgeführten Intervention…

… an der Wirbelsäule:

  • Bandscheibenvorfälle
  • Engstellen an den Nervenaustritten aus der Wirbelsäule
  • Blockaden, Arthrosen oder Entzündungen der Zwischenwirbelgelenke
  • Beschwerden im Iliosakralgelenk

… am Körper:

  • Nervenschmerzen unterschiedlichster Ursachen: spontan, nach Verletzungen, nach Operationen

2. Gepulste Radiofrequenztherapie

Was ist eine gepulste Radiofrequenztherapie und wie funktioniert sie?

Die gepulste Radiofrequenztherapie gehört zu den Methoden der Neurostimulation. Dabei handelt es sich um eine Behandlung, bei der gezielt elektrische Impulse auf Nerven oder Nervenstrukturen abgegeben werden, um die Funktion des Nervensystems zu modulieren und dadurch die Schmerzen zu lindern. Dabei wird unter örtlicher Betäubung eine Nadel an einzelne Nerven oder Nervenwurzeln platziert und mit Hilfe bildgebender Verfahren wie Ultraschall (oder Röntgen) kontrolliert. Danach erfolgt eine circa 8-minütige Stimulation mit hochfrequentem Strom – ähnlich wie in der Mikrowelle. Der Effekt ist, dass der Schmerz zwar de facto noch da ist, er aber aufgrund der Modulation nur noch sehr gedämpft weitergeleitet wird. Die Nerven werden bei dem Verfahren nicht dauerhaft geschädigt.

Bei welchen Beschwerden kommt die gepulste Radiofrequenztherapie zum Einsatz?

Die gepulste Radiofrequenztherapie (»PRF-Therapie«) wird gegen chronische Schmerzen eingesetzt, die durch Nervenverletzungen oder Nervenirritationen verursacht werden. Oft haben die Patienten, bei denen die PRF-Therapie angewendet wird, bereits eine oder auch mehrere ultraschallgeführte Intervention hinter sich, die bis dato jedoch nicht zum gewünschten Erfolg geführt haben. Die gepulste Radiofrequenztherapie ist also eine weitere Variante in der möglichen Therapiekaskade.

Einsatzgebiete der gepulsten Radiofrequenztherapie

  • Nervenwurzelkompressionssyndrome:
    wie zum Beispiel Ischiasschmerzen, die entlang des Ischiasnervs in der Lendenwirbelsäule bis zum Bein ausstrahlen, oder Bandscheibenvorfälle, bei denen ein Bandscheibenvorfall auf eine Nervenwurzel drückt und Schmerzen verursacht.
  • Neuralgien:
    Schmerzzustände, die durch eine Fehlfunktion oder Reizung eines Nervs verursacht werden, wie zum Beispiel Trigeminusneuralgie (Schmerzen im Gesicht, die durch Reizung des Trigeminusnervs verursacht werden).
  • Periphere Neuropathien:
    Diese beziehen sich auf Schädigungen der peripheren Nerven, die zum Beispiel durch Trauma oder andere Erkrankungen verursacht werden.

3. Periphere Nervenstimulation

Erklären Sie uns bitte, was sich hinter der peripheren Neurostimulation verbirgt.

Die periphere Nervenstimulation ist ebenfalls ein Verfahren der Neuromodulation. (siehe gepulste Radiofrequenztherapie) Auch hier wollen wir die Weiterleitung der Schmerzsignale hemmen, bevor sie das Gehirn erreichen und dort als Schmerz interpretiert werden könnten. Bei diesem Verfahren implantieren wir unter Ultraschallsicht eine kleine Elektrode an den schmerzvermittelnden Nerven. Im Gegensatz zur Rückenmarksstimulation benötigen wir kein kleines stoppuhrgroßes Gerät, welches meistens am Gesäß eingesetzt werden muss. Dieses auch als Schmerzschrittmacher bezeichnete Gerät, verbleibt außerhalb des Körpers und übermittelt über Induktion sanfte Impulse an die peripheren Nerven und beeinflusst dadurch das für den Patienten wahrnehmbare Schmerzempfinden. Eine Testphase wird hierfür nicht benötigt. Sofern die lokalen Injektionen zuvor gute Effekte gezeigt haben, kann eine periphere Neurostimulation in Betracht gezogen werden.

Wie muss man sich das vorstellen – spürt man die elektrischen Impulse?

Viele Patientinnen und Patienten beschreiben den Reiz eher als Kribbeln im schmerzhaften Areal. Die elektrischen Impulse überlagern also die Weiterleitung des Schmerzes, so dass dieser verringert oder gar nicht mehr wahrgenommen wird. Das ist ein bisschen so, wie wenn wir uns stoßen und dann über die Stelle reiben – auch damit erzielen wir eine Hemmung der Schmerzweiterleitung. Mit einem Steuergerät können die Patienten im Übrigen die Stimulation an das subjektive Schmerzempfinden anpassen.

Wer kann von dieser Therapie profitieren und was sind ihre Vorteile?

In den Sana Kliniken Leipziger Land ist die Neurostimulation eine gute Alternative, wenn wir mit Medikamenten oder einer multimodalen Schmerztherapie keine ausreichenden Erfolge erzielen konnten. Bei 80 Prozent der Betroffenen führt der Schmerzschrittmacher zu einer deutlichen Schmerzlinderung. Daher eignet sich solch ein „Schmerzschrittmacher“ zum Beispiel für Patienten, die unter chronischen Schmerzen des Nackens oder der Arme, Beine oder des Rumpfes bzw. unter Nervenschmerzen zum Beispiel nach Operationen leiden. Die großen Vorteile sind, dass der Schmerzschrittmacher über mehrere Jahre im Körper verbleiben kann und bis auf die geringe Belastung der Operation praktisch nebenwirkungsfrei ist. Im Vergleich zur Belastung, die die Patienten durch die dauerhafte Gabe von Schmerzmedikamenten haben, ist dieses Verfahren also wesentlich schonender und nachhaltiger.

Einsatzgebiete der peripheren Neurostimulation:

  • Nervenschmerzen nach Verletzungen oder Operationen
  • Chronische Schmerzen an den Gliedmaßen oder am Rumpf
Chronischer Schmerz: Was hilft, wenn der Schmerz zur Krankheit wird.

Wir alle haben uns schon einmal verletzt oder mussten krankheitsbedingt Schmerzen erdulden ­– eine unangenehme Erfahrung. Und doch sind Schmerzen nützlich, denn sie zeigen uns an, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wenn Schmerzen allerdings anhalten und vielleicht sogar bestehen bleiben, obwohl die Ursache längst behoben ist, dann ist aus der lebenswichtigen Warnung eine Krankheit geworden, die die Lebensqualität dauerhaft schwer beeinträchtigen kann. In dieser Podcast-Folge erfahren Sie mit Dr. Brigitte Rönsch und Dr. Peter Schwarzkopf, wie der Ansatz der Multimodalen Schmerztherapie und Methoden der interventionellen Schmerztherapie helfen, wieder aktiv und schmerzarm, sein Leben zu meistern.

4. Rückenmarks-Nervenstimulation zur Schmerzbehandlung

Aus der Schmerzforschung ist bekannt, dass die Verarbeitung von Reizen bei Patienten mit chronischen Schmerzen buchstäblich aus dem Ruder gelaufen ist. Das Nervensystem ist in einem permanenten Alarmzustand. Auch in diesem Zusammenhang kommt ein weiteres bekanntes Verfahren der Neuromodulation zum Einsatz – die so genannte epidurale Rückenmarkstimulation. Dieses Verfahren erklärt Dr. Jochen Helm Facharzt für Neurochirurgie vom Interdisziplinären Wirbelsäulenzentrum und der Neurotraumatologie an den Sana Kliniken Leipziger Land in Borna.

Was ist der Unterschied dieses Verfahrens zur peripheren Neurostimulation?

Im Prinzip ähnlich wie beim „Schmerzschrittmacher“ werden hier auch feine Elektroden implantiert, allerdings in der Nähe des Rückenmarks. So können sie elektrische Impulse an den Raum zwischen der bindegewebigen Auskleidung des Wirbelkanals und der äußeren der drei Rückenmarkshäute nahe des Rückenmarks (»Epiduralraum«) abgeben und die Schmerzweiterleitung stören.

Wie lange dauert dieser Eingriff?

Der dazu nötige Eingriff dauert ungefähr 20 bis 60 Minuten und findet in Verbindung mit einem drei- bis siebentägigen stationären Aufenthalt statt, während der Sitz und die Funktionsweise der Elektroden getestet werden. Nach entsprechender Anleitung kann der Patient die Modulation der Schmerzminimierung selbst mitgestalten. Ist die Testung erfolgreich, wird in einem kurzen Eingriff, der Stimulator in eine Unterhauttasche im oberen Gesäß oder aber im Unterhautgewebe des Bauches implantiert und mit den liegenden Elektroden verbunden. Das Steuergerät kann vom Patienten selbst über eine Fernbedienung reguliert werden. Somit kann die Intensität der Impulse an individuelle Bedürfnisse angepasst werden.


Porträt Dr. med. Jochen Helm Facharzt für Neurochirurgie

Unser Spezialist für die Rückenmarks-Nervenstimulation

Dr. Jochen Helm
Facharzt für Neurochirurgie
Telefon 03433 21-2481
jochen.helm@sana.de


Was sind die Vorteile der Rückenmarks-Nervenstimulation?

Fast 80 Prozent der Patientinnen und Patienten berichten, dass ihre Schmerzen nach dem Einsetzen des Schrittmachers am Rücken deutlich weniger werden. Dadurch gewinnen sie an Lebensqualität und können wieder aktiv am Leben teilnehmen. Außerdem ist die Therapie – außer den Belastungen des Eingriffs – praktisch ohne Nebenwirkungen. Die Betroffenen können auf Schmerzmedikamente weitgehend verzichten, was auch weniger Belastung für Leber und Nieren bedeutet. Sollte die Therapie nicht das gewünschte Ergebnis bringen, kann das System auch problemlos wieder entfernt werden.

Für wenn kommt sie in Frage?

Alles in allem ist auch die Rückenmarks-Nervenstimulation eine vielversprechende Alternative zur Behandlung chronischer Schmerzen, besonders wenn die Betroffenen auf konservative Therapien wie Medikamente oder Physiotherapie nicht ausreichend ansprechen.

Einsatzgebiete der Rückenmarks-Nervenstimulation

Die Rückenmarks-Nervenstimulation wird hauptsächlich bei chronischen Schmerzsyndromen eingesetzt, die auf andere Behandlungen nicht ausreichend ansprechen. Dazu gehören:

  • Rückenschmerzen nach Wirbelsäulenoperationen
  • Komplexes regionales Schmerzsyndrom: Eine chronische Schmerzstörung, die meist in Armen oder Beinen auftritt und schwer zu behandeln ist.
  • Periphere neuropathische Schmerzen: Schmerzen, die durch Schädigungen der peripheren Nerven verursacht werden, zum Beispiel durch Diabetes oder nach einer Verletzung.
  • Ischias: Schmerzen, die durch Druck auf den Ischiasnerv verursacht werden, oft aufgrund von Bandscheibenvorfällen oder Spinalstenosen.

Stand: 31.05.2024

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